Drascha zum Schabbat Teruma, Hamburg, Freitag, 28.02.2025 von Landesrabbinerin Alina Treiger
Liebe Gemeinde! Welch ein Buch! Groß und weit wie die Welt, wurzelnd in den Abgründen der Schöpfung und hinaufragend in die blauen Geheimnisse des Himmels Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, Verheißung und Erfüllung, Geburt und Tod, das ganze Drama der Menschheit, alles in diesem Buche. Es ist das Buch der Bücher. Die Juden sollten sich leicht trösten, dass sie Jerusalem und den Tempel und die Bundeslade und die goldenen Geräte und Kleinodien Salomonis eingebüßt haben. Solcher Verlust ist doch nur geringfügig im Vergleich mit der Bibel, dem unzerstörbaren Schatz, den sie gerettet… Sie leben in den umfriedeten Marken dieses Buches, hier üben sie ihr unveräußerliches Bürgerrecht, hier kann man sie nicht verjagen, nicht verachten, hier sind sie stark und bewunderungswürdig. Versenkt in die Lektüre dieses Buches, merkten sie wenig von den Veränderungen, die um sie her vorfielen; Völker erhoben sich und schwanden, Staaten blühten empor und erloschen, Revolutionen stürmten über den Erdboden. Sie aber, die Juden, lagen gebeugt über ihrem Buche und merkten nichts von der wilden Jagd der Zeit, die über ihre Häupter dahinzog! HEINE, 1830. Wie Heine schrieb, spürten die in das Studium der Tora Vertieften nicht die Vergänglichkeit der Epochen, denn ihre Seelen lebten in einer ewigen Welt der Worte und Weisheit, erfüllt von Geschichten über Gerechtigkeit und Freiheit. Heute lade ich Sie ein, mit mir auf eine Reise durch die farbenfrohen Bilder des Universums zu gehen, in der die kabbalistische Kosmologie im Bild des königlichen Lagerplatzes von König Salomo erscheint – einem Bild, das mit der Bundeslade und dem Schöpfungsprozess unserer Welt verglichen wird. In Bamidbar Rabbah 12:4 heißt es: „Es war an dem Tag, als [Mose] vollendete“ – so steht es geschrieben: „[König Salomo] machte sich einen Palanquin“ (Hohelied 3:9). Was ist ein Palanquin? Es ist ein Fortbewegungsmittel in Form eines geschützten, auf langen Stangen befestigten Sitzes oder einer Liege, die von Trägern getragen wird. (Quelle: Wikipedia) Rabbi Jeshua aus Sikhnin lehrte, dass dies dem Bild eines Königs gleicht, der seine Tochter verlobte. Er veranstaltete ein prächtiges Verlobungsfest und schenkte seiner geliebten Tochter zum Schutz vor dem bösen Blick ein Amulett, indem er sagte: „Möge dieses Amulett dich behüten.“ So hat auch der Allerhöchste, indem Er dem Volk Israel die Tora schenkte, ein öffentliches Fest bereitet – „alle Völker sahen den Donner“ (Exodus 20:15) –, aber leider wirkte der böse Blick dennoch, und die Tafeln wurden zerbrochen (Exodus 32:19). Darum heißt es zunächst: „Der Ewige segne dich und behüte dich“ (Numeri 6:24) vor dem bösen Blick, und dann: „Es war an dem Tag, als [Mose] vollendete…“ Der Midrasch bietet uns eine überraschende Erklärung dafür, warum der Bundeslade, die in ihrer Form einem Palanquin glich, gefertigt werden musste. Dieses Gefüge gibt uns ein Bild davon, wie einst Ehrenpersonen und kostbare Gegenstände transportiert wurden – als Schutz für die Steintafeln des Bundes und als Schleier vor neugierigen Blicken oder missgünstigen Absichten, die auf die Erhabenheit oder die Verletzlichkeit einer solchen Reliquie, der Tora, abzielen. Ein weiteres Beispiel: Rabbi Yehuda bar Rav Ilai sagte: Dies ist vergleichbar mit einem König, der eine feine, lobenswerte und ansprechende Tochter hatte. Er sagte zu seinen Dienern: „Fertigt für sie ein Throngestell mit einem Überzug – es sei denn, man soll die Schönheit meiner Tochter erst hinter dem Überzug erblicken.“ So ist die Tora fein, lobenswert und ansprechend. Der Heilige, gesegnet sei Er, befahl: „Fertigt für sie eine Lade, damit ihre Schönheit nur von innen sichtbar wird.“ In diesen Beschreibungen wird die Tora mit der Tochter des Höchsten verglichen – mit einer schönen Braut, die vor der Hochzeit von einem Schleier umhüllt wird, sodass niemand außer dem Bräutigam ihr Antlitz erblickt; hier symbolisiert der Bräutigam das Volk Israel. Zugleich wird deutlich, wie ehrfürchtig und zugleich restriktiv der Umgang mit Frauen – und besonders mit königlichen Töchtern – in jenen Zeiten war. Der Begriff Palanquin (Apiryon) trägt auf mehreren Ebenen Bedeutung: • Er symbolisiert die Bundeslade. • In einem anderen Zusammenhang steht der Palanquin für den Tempel – zunächst den tragbaren, später einen dauerhaften, den König Salomo errichtete. • In einem weit gefassten Sinn repräsentiert er unsere Erde als einen Palanquin im Universum. Hier wird „König Salomo [Shelomo]“ zum Bild des Höchsten, der den Schalom zwischen Feuer und Wasser einrichtete, diese Elemente vereinte und die Himmelsgewölbe schuf, wie geschrieben: „Gott nannte das Gewölbe Himmel [shamaim]“ (Genesis 1:8). In diesem Licht finden Feuer und Wasser ihre Einheit. Die mit dem Libanonholz verbundenen Bilder tragen tiefe Symbolik. So symbolisieren die Bretter der Zeltstube aus Akazienholz (Exodus 26:15) die sechs Tage der Schöpfung. (vgl. Pardes Rimonim 2:4:2). denn „Aus dem Holz [me’atzei] des Libanon [halevanon]“ (Hohelied 3:10) – denn durch den Rat [shebaatzat] der Tora, deren Angelegenheiten klar [melubenet] sind, erschuf Gott die Welt. Ebenso heißt es: „Rat [etza] und Findigkeit sind mein“ (Sprüche 8:14). Die silbernen Säulen das ist das Firmament, wie es auch heißt: „Die Säulen des Himmels werden einsinken“ (Hiob 26:11) – und die silbernen Haken (Exodus 27:11), welche die Bedeckung des Stiftzeltes verbinden, veranschaulichen die himmlische Ordnung. „Seine Polsterung aus Gold“ (Hohelied 3:10) steht für die Erde, die Früchte hervorbringt, die den Erzeugnissen der Bäume gleichen – so wie Gold in seinen vielfältigen Arten und Schattierungen erscheint, so gibt es auch grüne und rote Früchte. „Sein Sitz, Lager (Merkawa) aus purpurner Wolle“ (Hohelied 3:10) symbolisiert die Sonne, die hoch oben positioniert auf ihrer Wagenkutsche (beMerkava) die Welt erleuchtet – wie es heißt: „Er ist wie ein Bräutigam, der seine Brautkammer verlässt…“ (Ps. 19:6). Die Vorhänge, hergestellt aus himmelblauer, purpurner und karminroter Wolle (Exodus 26:31, 40:3), umschließen die Bundeslade wie der Himmel selbst, während das purpurne Überwurf (Exodus 25:21, gemäß der Lehre von Rabbi Tanḥuma) das göttliche Gegenwartssignal bezeugt. „Ihr inneres Zierde, geschmückt mit Liebe, von den Töchtern Jerusalems“ (Hohelied 3:10) – Rabbi Juda ben Rabbi Simon lehrte, dass dies das Verdienst des Studiums der Tora ist, das Verdienst der Rechtschaffenen, die sich den heiligen Texten widmen. Rabbi Azariah, im Namen von Rabbi Juda, bekräftigte: Dies ist die direkte Manifestation der göttlichen Gegenwart, die auch dort erscheint, wo es scheinbar keine sichtbaren Zeichen gibt. Rabbi Abba bar Kahana sagte: „Ich werde dich dort treffen…“ (Exodus 25:22). Und dies ist eine Beschreibung der Sabbatkönigin im 16. Jahrhundert in Safed, und jetzt werden Sie verstehen, woher die Kabbalisten dieses Bild der Königin der Braut haben. 😊 Wenn wir den Schabbat empfangen, empfangen wir auch die Weisheit der Tora! Kabbala des Sabbats: Mystische Erfahrung in Safed Im 16. Jahrhundert in Safed entstand ein Bild der Sabbatskönigin, das die kabbalistischen Gelehrten prägte. Der hebräische Schriftsteller Aharon Avraham Kabak beschreibt in seinem literarischen Buch „Schlomo Molcho“ die Zeremonie von Kabbalat Sabbat zur Zeit von a-Ari und seinen Schülern folgendes: „Zwischen den majestätischen Bergen, im Herzen des Tal der Schatten, glitten Dutzende weißer Gestalten dahin – wie reine Seelen, die sich dem Garten Eden entgegenstrebten. Die Kabbalisten aus „Sukkot Shalom“ kamen, um die heilige Königin zu empfangen. Sie zitterten vor freudiger Begeisterung, ihre Seelen strahlten durch die dünnen, halbtransparenten Hüllen ihres Leibes. Vor diesem erleuchteten Publikum stand auf einem großen Stein Rabbi Shlomo Alkabets, in schimmerndem Weiß gekleidet, leuchtend, zitternd und feurig. Auf seinem Gesicht zogen sich feine, verworrene Linien des flackernden Schabbats ab – wie der Sabbat, der sich über die Gipfel der Berge ergoss. Und er sang: „Komm, meine Geliebte, meine Braut! Lasst uns dem Sabbat entgegentreten und ihn gemeinsam empfangen!“ In dem Moment, als die Stimme des Rabbiners in den Himmel aufstieg, hob auch er seinen Blick schwerelos, als würde er der Seele seines Freundes lauschen – einer Seele, die zwischen der Wagenkutsche (Apiryon) des strahlenden Glanzes der Königin schwebte oder sich an den Rändern ihrer königlichen Majestät schmiegte. Sein Ruf war ein Flehen, ein Wecken, ein Ruf und eine Erweckung: „Steh auf, mein Licht… erwache, erwache, denn dein Licht ist gekommen! Steh auf, mein Licht! Erwache, erwache! Singt mein Wort! Die Herrlichkeit des HERRN ist über dir aufgegangen!“ Schlusswort In dieser Woche ehren wir das Andenken an Shiri und ihre Kleinen, Ari'el und Kefir Bibas. Möge ihr Andenken ewig und gesegnet sein. Möge der Allerhöchste ihre Seelen unter seinem strahlenden Schutz aufnehmen, und mögen sie am Ende der Zeiten zusammen mit allen Gerechten im Garten Eden wieder zum Leben erwachen. Amen. Schabbat Schalom! Hier geht es zur russischen Version:
