Drascha zum Schabbat Beschalach, Hamburg, Freitag, 26.01.2024 von Rabbinerin Julia Gris
Im Kapitel "Beschalach", das wir diese Woche lesen, wird eines der größten Wunder unserer Geschichte beschrieben - die Teilung des Schilfmeeres (Rotes Meer). Kommentatoren behaupten, dass es für den Allmächtigen keineswegs einfach war, dieses Wunder zu vollbringen. Die Weisen des Talmuds verwenden diesen Fakt zum Vergleich in zwei Fällen. Im Traktat "Sota" (2a) heißt es: "Ein Mann wird mit einer Frau in Übereinstimmung mit seinen Taten verbunden – eine bescheidene Frau für den Gerechten und eine böse für den Unheilen/Gesetzesbrecher... und ihre Vereinigung ist genauso schwer wie die Teilung des Roten Meeres." Und im Traktat "Pessachim" (118a) steht geschrieben: "Die Nahrungsaufnahme eines Menschen ist schwer, wie die Teilung des Roten Meeres." Diese Vergleiche führen zu Missverständnissen. Was ist ihr Ziel - uns zu entmutigen, um zu zeigen, dass die Suche nach einem Partner und die Bereitstellung von Lebensunterhalt ein schwieriger, mühsamer Weg ist, auf dem nur wenige Glück finden?! Und warum ist zu behaupten, dass es für den Allmächtigen schwer ist, etwas zu tun, wenn man bedenkt, dass Er die Welt erschaffen hat – die Sonne und Mond, Sterne und Galaxien, Pflanzen und Tiere - alles in nur sechs Tagen! Ist es also wirklich schwer für Ihn, Mann und Frau zu vereinen? Und warum wurde die Teilung des Roten Meeres zum Symbol der Schwierigkeit? Warum nicht die Erschaffung der Welt oder zum Beispiel die Vernichtung der Intrigen von Aman? Denn zwischen der Bildung eines Paares und der Teilung des Meeres gibt es keine Analogie, sie stellen sogar eine vollständige Gegensätzlichkeit dar. Die Schaffung eines jüdischen Hauses ist die Vereinigung von zwei Menschen, die Überwindung ihres Egos und schließlich ihre Verschmelzung zu einer Seele. Während die Teilung des Meeres, wie der Name schon sagt, das genaue Gegenteil davon war: Gott nahm ein Ganzes und teilte es in zwei getrennte Teile. Als Mose seinen Stab über die Wasser des Meeres ausstreckte, teilten sie sich und bildeten zwei entfernte, getrennte und entfremdete Wände... Was wollten unsere Weisen eigentlich damit sagen, als sie diese beiden wichtigen Lebensbereiche des Menschen mit der Teilung des Roten Meeres verglichen? Die chassidischen Weisen sagen, dass die Hauptschwierigkeit bei der Bildung einer Ehe und bei der Suche nach den Mitteln zum Lebensunterhalt darin besteht, sich bereit zu erklären, alte Erwartungen loszulassen. Der Mensch muss die Veränderungen akzeptieren, die in seinem Leben geschehen, und ihnen folgen. In diesem Zusammenhang kann man eine Analogie zu den Gefühlen sehen, die unsere Vorfahren während des Auszugs aus dem "bequemen" Ägypten erlebten. Auch sie mussten die Tatsache akzeptieren, dass vor ihnen ein neues und unerforschtes Leben lag, und waren voller Angst. Wie oft im Leben mussten Sie schwierige Entscheidungen treffen? Vielleicht war es der Wechsel des Jobs, die Trennung von einem geliebten Menschen oder der Umzug in eine andere Stadt? Sich von Gewohntem zu verabschieden und ganz von vorne zu beginnen, ist sehr schwer, aber letztendlich kann es der richtige Schritt im Leben sein, wenn Sie lernen, Veränderungen und Umbrüche im Leben zu akzeptieren und vor allem daran zu glauben. Nicht mit Veränderungen einverstanden zu sein, bedeutet, an Ort und Stelle stehen zu bleiben, und das heißt, nicht mit denen Schritt zu halten, die vorangehen. Der Midrasch erzählt, dass die Israeliten, als sie vor dem Meer standen und vor der Armee des Pharaos Angst hatten, sich in Gruppen aufteilten, die die vier Ansätze symbolisierten, die das Volk Israels bis heute widerspiegeln. Einige sagten: "Wir werden ins Meer springen." Das sind Perfektionisten und Idealisten, die Helden von Masada, für die alles oder nichts bedeutet. Es ist besser, das Leben auf eine würdige Weise zu beenden, als erneut Sklaven in Ägypten zu werden. Die zweite Gruppe sagte: "Wir werden nach Ägypten zurückkehren." Das sind die Entgegengesetzten, schwache und besiegte Pessimisten, die dachten, dass es besser wäre, sofort die weiße Flagge zu hissen, da sie sowieso in die Hände des Pharaos fallen würden. Die Dritten entschieden: "Wir werden kämpfen!" Das waren die entschlossenen und mutigen Menschen, die dazu aufriefen, dem Pharao zu widerstehen und tapfer bis zum letzten Tropfen Blut zu kämpfen: "Und selbst wenn wir verlieren, wird der Pharao zumindest wissen, dass jüdisches Blut nicht Wasser ist." Und es gab die letzte Gruppe, die der Gottesfurchtigen Juden, die sagten, dass man beten soll. Und das waren alle möglichen Verhaltensweisen, die offensichtlich waren, aber Gott ließ durch Moses zeigen, dass keiner dieser Ansätze richtig war, und dass man einfach den Weg gehen müsse, den Gott gezeigt hat, nämlich den Glauben an G´´tt zu stärken. Die Aufgabe, das Meer zu teilen, bestand darin, die Menschen von ihren früheren Vorstellungen zu befreien und sie zu lehren, auf die göttliche Vorsehung zu hören, die jeden Menschen begleitet. Statt sich auf Vorurteile zu konzentrieren, sollen sie auf die Möglichkeiten schauen, die der Allmächtige bietet und setzen Sie Ihre Bewegung nach vorne fort ! Anstatt auf Ihrem Standpunkt zu beharren, zeigen Sie Flexibilität! Den Höhepunkt im Text bildet "Schirat Ha-Yam" - das Lied des Meeres - ab. Dieses Lied spiegelt nicht nur die Freude und Erleichterung nach der Rettung wider, sondern dient auch als Erinnerung an die Wunder, die möglich sind, wenn wir unseren Glauben mit Handeln verbinden. Die Überquerung des Roten Meeres ist nicht nur ein historisches Ereignis, sondern auch ein kraftvolles Symbol für unser Leben. Jeder von uns steht vor seinen "Roten Meeren" - Hindernissen und Prüfungen, die Glauben und Mut erfordern, um sie zu überwinden. "Schirat Ha-Yam" erinnert uns an die Bedeutung des Glaubens in schwierigen Zeiten. Daran, dass unser Glaube und unsere Entschlossenheit uns zu unglaublichen Transformationen im Leben führen können. Dieses Lied beleuchtet auch den Weg von der Sklaverei zur Freiheit, der nicht nur physisch, sondern auch spirituell ist. Möge uns dieses Lied des Meeres helfen, unseren persönlichen Weg der Befreiung von inneren Fesseln zu erkennen, sei es Angst, Zweifel oder einschränkende Überzeugungen, und möge uns genügend Mut gegeben werden, immer voranzugehen. Schabbat Schalom! Hier geht es zur russischen Übersetzung: