top of page

Drascha zum Schabbat Tezaweh, Hamburg, Freitag, 23.02.2024 von Rabbinerin Julia Gris

Aus den Lehren, die wir in dieser Woche aus dem Tora Abschnitt "Tetzaveh" gezogen haben, können wir feststellen, dass Gott außergewöhnlich auf Details achtet und gewissermaßen als Perfektionist betrachtet werden kann. Mose erhält den Befehl, sich an erfahrene Handwerker für die Herstellung von Kleidung für seinen Bruder Aaron zu wenden. Jener wurde zum Hohenpriester (Kohen Gadol) ernannt. Es werden verschiedene Arten von Kleidung aufgelistet, die hergestellt werden müssen: ein Brustschild, ein Ephod, ein Umhang, ein Rock, ein Kopfschmuck und ein Gürtel. Konkrete Anweisungen bezüglich Materialienauswahl - Gold, blauer, violetter sowie roter Faden und feiner Leinenstoff – werden ebenfalls angegeben. Obwohl im Text keine Abbildungen mit Schnittmustern für die Kleidung zu finden sind, ist die Beschreibung des Prozesses so detailliert, dass ein Schnittmuster nicht erforderlich ist. Die Herstellung wird ausführlich beschrieben: die Art und Weise, wie verschiedene Teile verbunden werden, welche Steine auf dem Brustschild verwendet, wie die Kleidungsstücke gefaltet werden sollen, welche Farbe für die Schnur bei der Befestigung verwendet werden soll, sowie detaillierte Spezifikationen zur Gestaltung des Ausschnitts und dekorativer Elemente wie bestickte Granatäpfel und goldene Glocken. Die Tora ist auch sehr wählerisch darüber, wer als Priester dienen darf. In einem Abschnitt, der für moderne Wahrnehmungen möglicherweise beleidigend erscheinen mag, erweitert die Tora die Anforderung nach Perfektion auf die Nachkommen Aarons, die Opfer für Gott bringen sollen. In Levitikus 21 wird uns gesagt, dass jeder Nachkomme Aarons, der mit einem "Makel" ausgestattet ist - sei er blind, lahm oder mit einem beeinträchtigten Körperteil, einem zu langen oder zu kurzen Gliedmaß, gebrochenen Händen oder Füßen, Buckel, Zwergwuchs, Ausschlag, Krätze oder zerknitterten Hoden - kein Opfer für den Herrn bringen darf. Die Liste enthält sogar diejenigen, deren Augen zu weit auseinander liegen, als hätten sie einen disqualifizierenden Makel. Ohne Zweifel gibt es im Talmud eine Debatte darüber, wie weit zu weit ist. Es besteht eine natürliche Tendenz, in allem nach Perfektion zu streben, in dem was wichtig ist. Aber was nicht unbedingt gut ist. Es gibt einen Ausdruck: "Das Perfekte ist der Feind des Guten". Manchmal sind Menschen so besessen von der Suche nach Perfektion, dass es ihnen nicht gelingt, etwas zu vollenden. Etwas, das perfekt gemacht ist, aber sechs Monate zu spät kommt, kann viel weniger wertvoll sein als etwas, das ziemlich gut gemacht und rechtzeitig ist. Verlangt aber Gott wirklich nach Perfektion? Einige Christen sagen, dass das Christentum notwendig wurde, weil das Judentum mit seinen 613 Geboten für gewöhnliche Menschen zu komplex war. Sie behaupten, dass der jüdische Gott zu anspruchsvoll war und niemand vor einem so pingeligen, anspruchsvollen Gott ein guter Mensch sein konnte. In unserer Tradition gibt es viele Geschichten, die besagen, dass Gott KEINE Perfektion verlangt. Gott besteht nicht darauf, dass alles perfekt ist. Viel wichtiger ist es, die richtigen Gefühle im Herzen zu haben. In Bezug auf Menschen mit Mängeln gibt es auch eine Geschichte im Talmud, die uns sagt, dass körperliche Mängel keine Rolle spielen. Rabbi Yehoshua ben Hananya war als brillanter Gelehrter bekannt, physisch aber ziemlich unattraktiv; man nannte ihn sogar "hässlich". Der Talmud erzählt von einem Vorfall, als die Tochter des Kaisers zu Rabbi Yehoshua sagte: "Ein Jammer für die großartige Weisheit wie deine, die in einem so hässlichen Gefäß eingeschlossen ist". Rabbi Yehoshua antwortete: "Bewahrt denn dein Vater, der Kaiser, seinen Wein nicht in einfachen Tonkrügen auf?" Die Tochter antwortete: "Ja, worin sollte er sonst es machen?" Rabbi Yehoshua sagte ihr: "Nun, du bist eine sehr wichtige Person; sollte der Wein nicht in Gefäßen aus Gold und Silber aufbewahrt werden?" Die Tochter schlug dies ihrem Vater vor. Der dachte, es sei eine gute Idee, und der Wein wurde sauer. Er fragte sie: "Wer hat dir das gesagt, so zu tun?" Sie antwortete ihm: "Rabbi Yehoshua". Der Kaiser rief Rabbi Yehoshua zu sich und fragte: "Warum hast du ihr das gesagt?" "Sie hatte mir geantwortet - dass ein guter Inhalt in einem guten Gefäß aufbewahrt sollte – ich habe ihr so geantwortet, um zu zeigen, dass gute Materialien in bescheidenen Gefäßen besser aufbewahrt werden." Warum also so viele Details? Warum auf Perfektion bestehen, dass ein entstellter Priester nicht dienen kann? Ich nehme an, dass die Forderung nach Perfektion nicht von Gott stammt - sie kommt von den Menschen. Diese Anforderungen sind in der Tora enthalten, weil die Menschen einen entstellten Priester nicht akzeptieren würden. Manchmal kann äußere Schönheit eine Belastung sein - sie kann von der eigentlichen Essenz ablenken. Weinliebhaber wissen, dass Wein am besten in einem schlichten Gefäß aufbewahrt wird. Der äußere Eindruck garantiert nicht, dass der Inhalt besser sein wird. Kaufen Sie kein Buch wegen des schönen Umschlags, eine Flasche Wein wegen des eleganten Etiketts oder wählen Sie keinen Lehrer, Ehepartner oder sonst jemand Wichtiges in Ihrem Leben aufgrund des äußeren Anscheins von Perfektion. Das ist eine Illusion. Schabbat Schalom!  Hier geht es zur russischen Übersetzung:

Drascha zum Schabbat Tezaweh, Hamburg, Freitag, 23.02.2024 von Rabbinerin Julia Gris
bottom of page